Das war der Mädchenbeirat 2016

Ein Mädchenbeirat – warum und wieso?

Mädchen und junge Frauen haben viele Fähigkeiten, Wünsche und Ziele. Sie können oder dürfen diese jedoch nicht immer ausleben, weil sie nicht zu den gesellschaftlichen Rollenbildern und Erwartungen passen. Studien belegen, dass junge Frauen nach wie vor mit eingegrenzten Berufswahlperspektiven oder Karrieremöglichkeiten konfrontiert sind und sich im Alltag mit Schönheitsnormen, Sexismus und Gewalterfahrungen auseinander setzen müssen. Inklusive und intersektionelle Aspekte, die wesentliche Auswirkungen auf die Lebenswelten von Mädchen und junge Frauen haben, sind oft außer acht gelassen. Soziale Räume, in denen Mädchen und junge Frauen ihr Potenzial entfalten können, werden viel zu wenig angeboten. Mädchen-Empowerment und Partizipation ist daher der Weg, den die gemeinnützigen Organisation, Hil-Foundation, geht, um diesbezüglich etwas zu verändern.

Bereits in den Vorjahren konnten gemeinnützige Organisationen aus Österreich mädchenspezifische Projektideen bei der Hil-Foundation einreichen und Unterstützung dafür erhalten. Die Inspiration dazu kam von filia. die frauenstiftung aus Deutschland.

Im März 2016 ging die Ausschreibung in die nächste Runde. An die 30 Einrichtungen haben diese Chance genutzt und bis Ende Juli unterschiedlichste innovative Projektideen ausgetüfftelt und eingereicht. Ein breites Spektrum von kreativen und handwerklich-technischen Projekten bis hin zu solchen, die sich mit selbstbestimmter Lebens- und Zukunftsgestaltung beschäftigten, zeigte sich da.

Als Voraussetzung für die Einreichung gilt: die Projekte sollen dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen frei von Gewalt leben und in der Gesellschaft mitreden und mitentscheiden können. Die Projekte werden von Mädchen und/oder Frauen für Mädchen und junge Frauen gemacht.

Die Entscheidung jedoch, welche fünf Projekte davon unterstützt werden sollten, liegt sowohl in Deutschland als auch in Österreich jedes Jahr in den Händen der Expertinnen. Und das ist das Besondere daran – denn es sind Mädchen und junge Frauen zwischen14 – 25 Jahren, die den Mädchenbeirat bilden.

Von 21. – 23.10.2016 tagte dazu der Mädchenbeirat im Schloss Puchberg bei Wels. Dieser setzte sich aus insgesamt sechs jungen Frauen aus ganz Österreich mit unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, von unterschiedlichen Schultypen, auf dem Weg ins Studium oder in die Arbeitswelt, aus Stadt und Land, aus unterschiedlichen Herkunftsländern, mit und ohne Behinderungen… zusammen. Drei der Mädchen hatten sich erstmalig für die Teilnahme am Mädchenbeirat beworben und drei waren bereits im Vorjahr mit dabei. Eine ganz unterschiedliche Gruppe also, die das Wochenende gemeinsam verbrachte.

Ablauf

Zur Orientierung für die jungen Frauen stand zu Beginn ein kurzer Fahrplan durch das Wochenende am Programm. Vorgestellt haben diesen die beiden Trainerinnen, Ruth Mayr und Teresa Lugstein, die den Mädchenbeirat leiteten. Für das darauf anschließende Eröffnungsritual standen ein Krug Wasser und genügend Gläser und in die Mitte bereit. Die „Durst-Übung“ bot sich gut zur Einstimmung an um etwas über die Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen der unterschiedlichen Teilnehmerinnen in Erfahrung zu bringen. Die jungen Frauen waren aufgefordert, sich vorzustellen, ihren „Durst“ für die Gruppe anschaulich zu machen und ihr Wasserglas so weit aufzufüllen, wie der jeweilige „Durst“ es verlangte. Dabei erzählten die Mädchen etwas über den eigenen „Durst“, den sie mitgebracht hatten. Sie sprachen über ihren Wissens- und Erlebnisdurst, über ihre Neugier und ihre Ziele…

In der nächsten Übung setzten sich die Mädchen mit bestehenden Rollenbildern und Geschlechterstereotypen auseinander. Diese zielte auch darauf ab, Lebensrealitäten von Mädchen und Frauen sichtbar zu machen, über Selbstbestimmung und Mädchenrechte zu diskutieren. Jede der Teilnehmerinnen konnte eine der Fragekarten ziehen und ihre Antwort der Gruppe mitteilen.

Hier einige Beispiele dazu: Was wäre wenn…

  • du in einer vollbesetzten U-Bahn stehen würdest, und der Mann neben dir dich berühren würde?
  • … deine beste Freundin erzählen würde, dass sie ab jetzt Kopftuch tragen möchte und nicht mehr mit zum Tanzen kommt?
  • … du erfahren würdest, dass deine Schwester von deinem Onkel sexuell bedrängt wird?
  • … deine Familie sehr großen Druck auf dich ausüben würde, damit du deinen Cousin heiratest?
  • … deine Freundin dir erzählen würde, dass sie sich von Frauen angezogen fühlt?

Themen, welche die jungen Frauen beschäftigen und über die es viel zu sagen gab.

Was zeige ich von mir – innen und außen? Das war eine weitere Fragestellung, mit der sich die junge Frauen in einem kreativen Prozess und einer Methode aus der Biografiearbeit beschäftigten. Aus einer Fülle von Materialen wie unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften, Stoffen, Wolle, Filzstiften, Figuren, Scheren und Kleber gestaltete jede ihre eigene Papiertasche. Auf der Außenseite der Tasche sollten sie dabei das, was sie ausmacht, ihre Fähigkeiten, Wünsche und Träume abbilden, die alle Gruppenmitglieder wissen durften. Die Innenseite der Tasche war für die Erfahrungen bestimmt, die sie für sich behalten wollten.

Nach der Fertigstellung stellte jede ihre Tasche für die Ausstellung bereit. Die Mädchen hatten die Gelegenheit, herumzugehen, die Taschen der anderen zu betrachten und auf sich wirken zu lassen. Und sich dabei die Fragen zu stellen: „In welche Tasche hätte ich gerne hineingeschaut? Welche Tasche ist meiner ähnlich? Was möchte ich nachfragen oder genauer wissen?

Danach war Zeit, die eigene Tasche der Gruppe zu präsentieren. Die jungen Frauen konnten erzählen was für sie besonders wichtig war dabei, was wachsen und größer werden konnte. Oder was kleiner und nicht so bedeutsam sein sollte. Sie brachten ein, was sie schon erreicht hatten und berichteten über ihre Wünsche für die Zukunft.

So viel Arbeit macht hungrig und die Mädels waren froh, als es Zeit zum Abendessen war und ließen sich dieses gut schmecken.

Mit dem Auftrag, aus den verschiedenen, mittlerweile aufgelegten Frauenbildern eine Frau auszusuchen, über welche jede von ihnen eine fiktive Geschichte schreiben sollte, leitete Teresa die Abendrunde ein.

Fragen, die dabei für die Mädchen zur Orientierung hilfreich waren: In welchem Land ist diese Frau geboren und in welcher Zeit? Wie war ihre Familie, hatte sie Geschwister? Aus welcher sozialen Schicht kam sie und wie war ihr Zugang zu Schule und Bildung? War sie berufstätig, lebte sie in einer Beziehung…? Was waren ihre Ziele und Wünsche, von wem erhielt sie Unterstützung oder auch nicht – und hat sie diese umgesetzt?!

Aus der Feder von den talentierten Schreiberinnen  sind dabei viele kreative, lustige und berührende Geschichten und Biografien mit oftmals einem überraschenden Werdegang entstanden. Diese haben sie in der Gruppe vorgelesen.

Die reellen Frauenbiografien auf dem Buch Bedeutende Frauen und ungewöhnliche Männer bekamen jedoch auch ihren Platz und die Aufmerksamkeit. Bedeutende Frauenbiografien aus verschiedenen Epochen und Ländern aus den Bereichen Politik, Bildung, Recht (was sie bewirkt haben – wie sie wirken) Frauen wie Virginia Woolf,  Marie CurieLotti Huber und Waris Dirie und fanden darin ihren Platz. Ruth bereichertete die im Buch vorkommenden Biografien noch um zwei Frauen aus der Gegenwart, Laurie Penny, die britische Journalistin, Autorin, Bloggerin und Feministin und die Hackerin Marion Marschalek, die sich auf  “Reverse Engineering” und “Malware” spezialisiert hat.

Was all diese Frauen auszeichnete ist ihre Stärke, ihren Weg zu gehen, sich für das einzusetzen was ihnen in ihrem Leben wichtig war und ist. Viele haben dadurch den Weg für uns oder andere Mädchen und Frauen geebnet – sie haben sich gegen Ungerechtigkeit stark gemacht, sind sich selber treu geblieben und haben ihre Ziele verfolgt. Es ist wichtig, diese Errungenschaften sichtbar zu machen und ins Bewusstsein zu rücken.

Genug getan – nach einer Abschlussrunde und einem Ausblick war es Zeit, den Arbeitstag zu beenden. Die Mädchen machten sich auf den Weg, das Schloss zu erkunden.

Der Samstag vormittag begann mit einer kleinen Aufstellungsübung zu einem Frauenrechtequiz. Das Besondere daran: die Fragen haben Ruth und Teresa aus dem Kochbuch Das kannst du selbst(,) bestimmt! entnommen. Die Idee zu diesem Kochbuch wurde vom Verein Orient Express 2015 eingereicht und der Mädchenbeirat der Hil-Foundation hat sich entschieden, dass dieses Projekt umgesetzt werden soll. An der Gestaltung des Kochbuchs haben 13 (junge)Frauen Bewohnerinnen der Schutzeinrichtung mitgewirkt. Neben Rezepten sind auch Karten und ein Frauenrechtequiz entstanden.

Hier einige Fragen aus dem Quiz und auch die Antworten mit einer kurzen Zusatzinfo:

Was ist Gender Mainstreaming?
A: Ein neuer Trend unter Jugendlichen. B: Das Herunterladen von Videos zum Thema „Gender.“ C: Eine wichtige Strategie zum Erreichen von Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern.
Der internationale Begriff Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Lebenssituationen von Frauen und Männern grundsätzlich und systematisch zu berücksichtigen.

Wann gab es in Österreich die erste Frauenministerin?
A: 1978 B: 1990 C: 2001
1990 wurde Johanna Dohnal als die erste Frauenministerin Österreichs angelobt. Sie war österreichische Feministin und Politikerin der SPÖ.

Was waren zwei der zentralen Forderungen der Frauenbewegung am ersten internationalen Frauentag 1911?
A: Wahl- und Stimmrecht für Frauen B: Teilzeit-Arbeit C: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeitsleistung D: Gendergerechte Sprache
Der erste internationale Frauentag fand am 19.03.1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Die Forderungen waren das Wahlrecht für Frauen und gleicher Lohn bei gleicher Arbeitsleistung. Letztere ist übrigens eine Forderung, die heute noch aktuell ist. Frauen erhalten auch in Österreich durchschnittlich weniger Gehalt für die gleiche Arbeit.

Nun war es an der Zeit, die Kriterien für die Auswahl der Projekte zu erarbeiten, dies geschah in mehreren Schritten mit Einzel- und Gemeinschaftsübungen. Was sich dabei herauskristallisierte – für die Vertreterinnen des Mädchenbeirats war es besonders wichtig, dass die Projekte folgende Aspekte beinhalteten:

  • Von Mädchen/Frauen für Mädchen/Frauen
  • Spezieller Schwerpunkt oder Zielgruppe
    (Alter, Behinderung…
  • Zugänglichkeit (gut erreichbar, barriere- frei, leistbar…)
  • Große Wirksamkeit und Sichtbarkei
  • Neue Projektideen, aktuelle und vielfältige Themen
  • Nachhaltiger Prozess und Wirkung
  • Hilfe zur Selbsthilfe durch aktive Teilhabe

Somit war die Gruppe  bereit für die Präsentation der eingereichten Projekte. Die Mädchen wollten alles ganz genau wissen, angefangen von der Erreichbarkeit des Angebots, der Zusammensetzung der Zielgruppen, den Möglichkeiten der Partizipation in der Gestaltung bis hin wie das Projekt in der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte und löcherten Ruth und Teresa mit vielen kritischen Fragen.

Zur genaueren Übersicht gab es für die Teilnehmerinnen eine Hand-out Mappe. In der ersten Runde traf jede für sich ihre erste Auswahl, für die sie in weiterer Folge im Plenum Argumente einbrachten und darüber diskutieren. Die verschiedenen Sichtweisen haben für manche von ihnen neue Aspekte aufgezeigt, die wieder in die anschließende Einzelarbeit einflossen. Letztendlich sind sie diesen Entscheidungsfindungsprozess gemeinsam gegangen, haben ihre Auswahl getroffen.

Für die Teilnehmerinnen des Mädchenbeirats ist es immer spannend zu erleben, was denn so aus den Projekten wird, die sie ausgewählt haben. Ein Besuch bei einigen der ausgewählten Einrichtungen wurde daher gemeinsam mit ihnen für 2018 geplant. Währenddessen ist der Mädchenbeirat weiterhin vernetzt.

Meine Schritte, die ich gehe…

Bei diesem Abschlussritual setzte jede der jungen Frauen unter Anleitung von Teresa einzelne Schritte zu einer bestimmten Fragestellung in den Raum. Die Übung sollte noch einmal bewusst machen, dass die im Leben immer wieder Entscheidungen treffen und diese Auswirkungen haben. Dass sie die Gestalterinnen ihrer Zukunft sind.

Zum Ausklang stand eine Frauenfilmnacht mit Chips und Süßigkeiten am Programm, bei der es sich die Mädls gemütlich machten.

Der Film Kick it like Beckham setzt sich trotz all seiner unbeschwert-komischen Einlagen, ernsthaft mit den aktuellen Fragen Kulturkonflikt, weibliche Unabhängigkeit und Bedeutung der Familie auseinander.

Sonntag früh blieb Zeit um die gemeinsame Arbeit noch einmal Revue passieren zu lassen, Eindrücke festzuhalten, Fragen zu stellen und gegenseitiges Feedback zu geben.

Eine Frauenstadtführung in Linz bildete den passenden Ausklang für dieses Mädchenbeiratswochenende. Die Gruppe trotzte dabei dem eisigen Wind. Frauen aus unterschiedlichen Bevölkerungs- und Berufsgruppen, mit ihren verschiedenen Lebensformen, Fähigkeiten und Interessen wurden dabei in den Fokus gerückt.

Nach dem Mittagessen gestalteten die Mädchen noch eine Videogrußbotschaft an die Projekteinreicherinnen und machten sich gestärkt und mit neu geknüpften Freundschaften auf den Heimweg.

Rückmeldungen der Mädchen zum Mädchenbeiratswochenende u.a. auf die Frage, was sie von dem, was sie hier gemacht haben, auch für ihr weiteres Leben nutzen können:

„ Ich habe es als besonders spannend empfunden, viel über Frauen und Gleichberechtigung zu erfahren.“

„Was ich mitnehme ist Wissen über immer noch gegebene Missstände in der Gleichberechtigung und auch was ich tun kann um aktiv etwas zu verändern.“

„Ich nehme die Erfahrung mit, dass „WIR“ Frauen was ganz Besonderes sind.“

„Das Wochenende war nicht anstrengend, das Projekteaussuchen machte Spaß und ich habe neue Freundinnen gefunden.“

„Mich hat die Vielfalt der eingereichten Projekte sehr angesprochen und ich bekomme Lust, auch selber etwas zu machen.“
„Was herausfordernd war – zu argumentieren und Entscheidungen zu treffen.“

Resumee der Trainerinnen:

Das Setting trug dazu bei, dass die Mädchen die Chance nutzen, sich und ihre Meinungen einbringen. Sie waren gefordert ihre Ansichten und Meinungen zu vertreten und entsprechend zu argumentieren. Die aktive Teilhabe und Entscheidungsmöglichkeit stärkte das Selbstwertgefühl der Mädchen und jungen Frauen. Sie nahmen ihre Entfaltungsmöglichkeiten wahr und zeigten, was in ihnen steckt. Trotz aller Verschiedenheiten verband sie das gemeinsame Ziel. Das bringt nicht nur die Mädchen weiter, es stärkt die ganze Gesellschaft.

Ausblick

Der Mädchenbeirat trifft von 06. – 08. 09.2017 wieder zusammen. Anmeldungen dafür sind bis zum 31.07.2017 möglich.

Beim Mädchenbeirat sind alle willkommen, die sich als Mädchen fühlen:

cis, inter* und trans Mädchen können beim Mädchenbeirat dabei sein.

Was bedeutet „cis“, „inter*“ und „trans“?
Lies hier nach.

Wir verwenden das Sternchen * im Plural, weil es außerhalb von „Frau“ und „Mann“ andere Geschlechts-/Genderidentitäten gibt und wir zeigen möchten, dass wir alle Geschlechter meinen. Eine Weile haben wir das Sternchen auch bei „Mädchen*“ und „Frau*“ verwendet. Wir haben aber wahrgenommen, dass diese Schreibweise als diskriminierend empfunden wird. Daher haben wir uns entschieden, das * in diesem Fall nicht mehr zu verwenden.
Wir benutzen weiterhin das * im Plural des Nomens (z.B. Schüler*innen, Jugendarbeiter*innen), um nicht-binäre Identitäten sichtbar zu machen und auf die Konstruiertheit der Kategorie „Geschlecht“ hinzuweisen. In Texten, die wir von unseren Projektpartner*innen erhalten, wird die Schreibweise „Mädchen*/Frau*” von uns nicht verändert.